Bayern unter dem Durchschnitt: Gewalt und Diskriminierung: Immer mehr Spielabbrüche im deutschen Amateurfußball

20. Oktober 2022 12:40 Uhr von Redaktion all-in.de
Nie zuvor gab es im deutschen Amateurfußball so viele abgebrochene Spiele wegen Gewalt und Diskriminierung, wie in der letzten Saison. (Symbolbild)
Nie zuvor gab es im deutschen Amateurfußball so viele abgebrochene Spiele wegen Gewalt und Diskriminierung, wie in der letzten Saison. (Symbolbild)
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In der Saison 2021/22 sind 911 Fußballspiele in Deutschland abgebrochen worden. Der Grund dafür waren  Gewalt- und/oder Diskriminierungsvorfälle. Noch nie zuvor mussten deswegen bundesweit so viele Spiele in einer Saison abgebrochen werden. In Bayern sind die Zahlen der Spielabbrüche wegen Gewalt oder Diskriminierung einer Pressemitteilung des Bayerischer Fußball-Verband e. V. nach jedoch auch in diesem Jahr auf einem konstant niedrigen Niveau. 

Höchststände bei Gewalt- und Diskriminierungsvorkommnissen

Seit 2014 lässt der Deutsche Fußball-Bund (DFB) auf Basis der Online-Spielberichte der Unparteiischen ein Lagebild des Amateurfußballs erheben. Sowohl die Gesamtanzahl an Abbrüchen als auch ihr Anteil von 0,075 Prozent an allen erfassten nationalen Spielen bedeuten Höchststände seit Beginn der Datenerhebung. Im Online-Spielbericht füllen die Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter im Tab "Vorkommnisse" aus, ob es zu einer Gewalthandlung und/oder zu einer Diskriminierung während des Spiels gekommen ist.

Kein Anstieg in Bayern

Entgegen des bundesweiten Trends bewegen sich die Zahlen in Bayern auf konstantem Niveau im Vergleich zu Vor-Corona-Spielzeiten. Ein Anstieg ist nicht zu verzeichnen. In der Saison 2021/22 wurden bayernweit 68 Spiele abgebrochen. Dies entspricht 0,033 Prozent aller Spiele (2018/19: 0,029 Prozent). Über den Elektronischen Spielbericht (ESB) haben die Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter 2021/22 insgesamt 449 Störungen (Gewalt und/oder Diskriminierung) gemeldet (0,22 Prozent aller erfassten Spiele). Im Umkehrschluss heißt das, dass in Bayern in der abgelaufenen Spielzeit 99,78 Prozent der 207.219 erfassten Partien vollkommen störungsfrei verlaufen sind. "Dennoch ist jeder Spielabbruch einer zu viel", sagt Christoph Kern, Präsident des Bayerischen Fußball-Verbandes (BFV): "Klar ist, dass wir auch weiterhin unsere strikte Null-Toleranz-Politik fahren. Gewalt, Beleidigungen und Diskriminierungen in jedweder Form haben auf unseren Fußballplätzen nichts zu suchen!"

Kern ist der Auffassung, dass die Maßnahmen in Bayern wirken

„Den sehr unerfreulichen deutschlandweiten Trend bei den Spielabbrüchen können wir glücklicherweise in Bayern nicht bestätigen. Fakt ist aber: Jede und jeder Einzelne muss grundsätzlich alles dafür tun, dass es erst gar nicht zu einem Spielabbruch kommt. Warum wir in Bayern diesen Trend derzeit nicht verzeichnen, lässt sich pauschal nicht beurteilen. Wir sind schon der Auffassung, dass die seit Jahren im Bayern etablierten Maßnahmen wirken. Wir haben eine konsequente sportgerichtliche Aufarbeitung im Einzelfallverfahren, eine extrem breite Palette an Sanktionsmöglichkeiten, die auch Bewährungsstrafen oder beispielsweise den verpflichtenden Besuch eines Anti-Gewalt-Trainings umfasst. Wir haben ein bayernweit effizientes und stetig weiterentwickeltes Konfliktmanagement, Fair-Play-Projekte und Schulungen, die im Idealfall präventiv wirken. Und vor allem gibt es sehr klare Vorgaben und Schulungen, die ein hohes Maß an einheitlichem Vorgehen der Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter bewirken. Es wäre aber schlicht nicht ehrlich, zu behaupten, dass wir damit die Zahlen im Detail erklären könnten. Dafür gibt es einfach zu viele Faktoren, die in einer konkreten Situation zu einem Spielabbruch führen können. Und auch die besten Maßnahmen können nicht alles verhindern. Auch das gehört zur Wahrheit“, ordnet BFV-Präsident Christoph Kern die bayerischen Zahlen in das deutschlandweite Gesamtbild ein.

Insgesamt 5.582 Vorfälle in Deutschland gemeldet

In der Saison 2021/22 wurden in allen 21 Landesverbänden von 1.455.416 ausgetragenen Spielen 1.219.397 Spiele mit einem Online-Spielbericht erfasst (Bayern: 246.934 offizielle Verbandsspiele, 207.219 mit dem Elektronischen Spielbericht (ESB) erfasst - 83,92 Prozent aller Spiele). Bei den erfassten Partien wurden 5.582 Vorfälle (Bayern: 449), davon 3.544 Gewalthandlungen (Bayern: 305) und 2.389 Diskriminierungen (Bayern: 173), gemeldet. Erstmals in den vergangenen drei Corona-Jahren konnte wieder eine komplette Fußballsaison im Amateurbereich absolviert werden.

So viele beschuldigte und geschädigte Spieler, Zuschauer und Schiedsrichter gab es

Das Lagebild ermöglicht einen Einblick, wie die verschiedenen Gruppen als Beschuldigte oder Geschädigte vertreten sind. Unter den Spielerinnen und Spielern befinden sich leicht mehr beschuldigte (3.700, Bayern: 316) als geschädigte Personen (3.152, Bayern: 266) vor, bei den Zuschauerinnen und Zuschauern ist das Verhältnis mit 1.884 Beschuldigten in Deutschland und 151 Beschuldigten in Bayern im Vergleich zu 421 Geschädigten bundesweit und 33 Geschädigten im Freistaat, eindeutiger. Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter (78/2399, Bayern: 8/170) sind fast ausnahmslos Geschädigte von Diskriminierungen oder Gewalthandlungen.

"Der Anstieg der Spielabbrüche muss uns Sorgen machen"

Die Tübinger Kriminologin Dr. Thaya Vester berät den DFB bei den Ergebnissen des Lagebilds. Sie hat eine Studie zu den Ursachen von Spielabbrüchen durchgeführt, diese wird im Laufe der kommenden Wochen veröffentlicht. Vester plädiert dafür, dass in Zukunft noch genauer analysiert wird, welche Konflikte den Spielabbrüchen zugrunde liegen. Sie sagt: "Es steht außer Frage, dass ein Spiel sofort abgebrochen werden muss, wenn Unparteiische tätlich angegangen werden. Wie aber beispielsweise auf Diskriminierungen reagiert werden soll, ist vielen nicht klar. Es muss noch mehr darüber informiert werden, dass der Drei-Stufen-Plan auch im Amateurfußball gilt." Der Fan- und Gewaltforscher Prof. Dr. Gunter A. Pilz, der den DFB bei der Entwicklung eines Gewaltpräventionskonzept beraten hat, sagt: "Der Anstieg der Spielabbrüche muss uns Sorgen machen, zumal ein Trend erkennbar wird. Auch in den ersten Wochen der neuen Saison mussten mehr Spiele abgebrochen werden. Wir nehmen die Entwicklung ernst und werden sie genau beobachten."