"Genauso katastrophal wie überall": Lieferengpässe bei Medikamenten: Fiebersaft und Antibiotika fehlen auch im Allgäu

20. Dezember 2022 10:40 Uhr von Katharina Knoll
Atemwegserkrankungen beuteln derzeit die Deutschen. Doch in den Apotheken sind manche Medikamente nicht mehr erhältlich. Der Grund: Lieferengpässe aus Asien.
Atemwegserkrankungen beuteln derzeit die Deutschen. Doch in den Apotheken sind manche Medikamente nicht mehr erhältlich. Der Grund: Lieferengpässe aus Asien.
picture alliance/dpa | Bernd Weißbrod

Husten, Fieber und Schnupfen: Atemwegserkrankungen halten die Bundesrepublik derzeit fest im Griff. Doch in den Apotheken fehlt es an Medikamenten wie Fieber- und Hustensäften. Auch an Krebsmedikamenten und Antibiotika herrscht Mangelware. Etwa auch im Allgäu?

Lage "katastrophal"

Im Raum Kempten sei die Lage "genauso katastrophal wie überall", sagt Dr. Martin Pfefferle, regionaler Ansprechpartner des Bayerischen Apothekerverbandes. Auch hier fehlt es an Kindermedikamenten wie Fiebersaft und Antibiotika. Zudem mangelt es an Medikamenten mit bestimmten Wirkstoffen wie sie beispielsweise in Colesterinsenkern und Magenschutzmitteln vorkommen.

Vorrat war innerhalb von zwei Monaten weg

Und die aktuelle Welle an  Atemwegserkrankungen hinterlässt ebenfalls ihre Spuren. Der Vorrat an Erkältungsmitteln, der den Apotheken normalerweise bis April reicht, sei innerhalb von zwei Monaten aufgebraucht worden. "Das ist außergewöhnlich", so Pfefferle. Weg seien so gängige Mittel wie Schleimlöser. Und auch bei den pflanzlichen Erkältungsmitteln werde die Lage langsam knifflig. Und Nachbestellungen beispielsweise beim Großhändler seien nicht möglich. "Wir können nichts dagegen tun", unterstreicht Pfefferle. 

Lieferengpässe aus Asien

Der Grund für den aktuellen Medikamentenmangel sind Lieferengpässe aus Asien. Weil etwa in Indien und China Medikamente deutlich günstiger hergestellt werden können als in Europa, ist ihre Produktion in den vergangenen Jahrzehnten dorthin abgewandert. Die Konsequenzen dieser Entwicklung bekommt nun die Bundesrepublik zu spüren. Neben Kindermedikamenten wie beispielsweise Fieber- und Hustensäfte fehlt es in der Bundesrepublik auch an manchen Arzneimittel für Erwachsene wie etwa Krebsmedikamente und Antibiotika, hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erläutert.

Sind manche Lager zu voll?

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sieht nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur (dpa) einen Grund der aktuellen Knappheit auch darin, dass sich manche Apotheken und Großhändler das Lager zu voll machten und die Arzneien andernorts fehlten. Es sei weiter von einer Verteilproblematik auszugehen, teilte es vor einigen Tagen mit. Eine weitere Ursache sei, dass es derzeit so viele Atemwegsinfektionen bei Kindern gebe, wodurch die Nachfrage steige.

Apothekerverbände klagen über unnötige Bürokratie

In der Bundesrepublik wird nun heiß darüber diskutiert, wie man die Situation entschärfen könne. Über unnötige Bürokratie klagt dabei jedoch die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA). "Ein individuell hergestellter Fiebersaft in der Apotheke kostet natürlich mehr und die Krankenkassen erstatten das nicht, wenn es nicht auf dem Rezept verordnet steht. Der Arzt kann aber nicht wissen, dass es in der Apotheke keinen Fiebersaft geben wird", sagte Gabriele Overwiening der Deutschen Presse-Agentur. So entstehe nur wegen der Krankenkassen eine völlig unnötige Bürokratie.

Apotheken sind am Ende ihrer Kräfte

Es wäre ihrer Ansicht nach sinnvoll, dass Apotheken entscheiden könnten, wann sie das Mittel selbst herstellen. Ein weiteres Problem sei der zeitliche Mehraufwand, sagte Overwiening. Denn: "Wir dürfen das auch nicht im Voraus herstellen." "Die Apotheken sind sehr belastet und oft am Ende ihrer Kräfte. Die Apothekerinnen und Apotheker bekommen die ganze Enttäuschung der Menschen ab", sagte Overwiening. "Die Probleme entstehen vorher und das muss dann in der Apotheke ausgebadet werden."

Mit Zeit und Geduld in die Apotheke

Doch was sollen Eltern mit einem kranken Kind tun, wenn der Husten- oder Fiebersaft knapp ist? "Ich rate den Eltern: Gehen Sie mit ein bisschen Zeit und Geduld in die Apotheke", sagte die ABDA-Präsidentin. "Das Team der Apotheke wird mit ihnen nach einer Lösung suchen." Der Rat der Apothekerinnen und Apotheker sei wichtig, denn dabei müssten viele Faktoren beachtete werden - etwa das Alter der Kinder oder ob sie schon gut Tabletten schlucken können. Wichtig sei ihr vor allem, dass Eltern nicht panisch werden und Medikamente hamstern. "Diejenigen, die hamstern, machen das ja meistens, wenn sie gesund sind", sagte Overwiening. "Dann fehlt denen, die gerade krank sind, das Arzneimittel. Das ist ein Teufelskreis."

Sichere Versorgung über die Weihnachtstage

Auch mit Blick auf die Weihnachtstage will die Präsidentin die Menschen beruhigen. "Die Apotheken wissen heute schon, wer Notdienst hat", sagte sie. Diese Apotheken würden sich ausrüsten und dann auch mehr vorrätig haben. "Da bin ich sicher, dass meine Kollegen in den Apotheken für eine sichere Versorgung sorgen werden."

Politik will aktiv werden

Währenddessen hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) einen Gesetzesentwurf angekündigt, um die Versorgungslage zu verbessern. Das möchte er erreichen, indem die Krankenkassen ab sofort mehr für bestimmte Medikamente bezahlen, erläuterte der SPD-Politiker am Dienstagmorgen im ARD-"Morgenmagazin". "Wir müssen diese Arzneimittel für Kinder aus den Festbeträgen herausnehmen, so dass die auch teurer verkauft werden. Da werde ich heute auch schon reagieren, dass die Krankenkassen angewiesen werden, 50 Prozent mehr zu zahlen als diesen Festbetrag", sagte Lauterbach.

Deutschland für Hersteller attraktiv machen

Patentgeschützte Medikamente seien in Deutschland eher teuer, erklärte Lauterbach. Für Arzneimittel ohne Patentschutz würden jedoch in der Regel niedrige Einheitspreise gezahlt, sogenannte Festbeträge. Deutschland sei für Hersteller kein attraktiver Markt, was dazu führe, dass stark gefragte Mittel eher in anderen Ländern wie den Niederlanden verkauft würden. "Da müssen die Preise sofort angehoben werden, das machen wir mit heutiger Wirkung." Zuerst hatte die "Süddeutsche Zeitung" unter Berufung auf ein Eckpunktepapier des Gesundheitsministeriums über die Pläne berichtet. Demnach soll die bessere Vergütung nicht nur kurzfristig gelten, sondern Kindermedikamente dauerhaft wirtschaftlich attraktiver machen und damit weitere Engpässe verhindern.

Produktion in Europa wieder hochfahren

Lauterbach schilderte außerdem das Problem, dass bestimmte Arzneimittel wie Krebsmedikamente oder Antibiotika für Erwachsene nicht in ausreichender Menge hergestellt würden. "Da werden wir den Krankenkassen jetzt die Vorgabe geben, dass sie einen Teil der Arzneimittel aus China, Indien und Übersee besorgen, aber einen Teil auch aus Europa", sagte er. Das solle dazu führen, dass die Produktion in Europa wieder hochgefahren werde. Auch die bayerische Staatsregierung hat verschiedene Lösungsansätze ins Gespräch gebracht. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte in der Sendung "Sonntags-Stammtisch" des BR Fernsehens, er sehe zwei Lösungsansätze. Entweder müsse die Politik dafür sorgen, dass der Großhandel eine andere Bevorratung mache, oder man müsse eine staatliche Planung für einen Grundstock an Medikamenten machen. Sollte der Bund nicht tätig werden, könne auch Bayern ein Zentrallager für Arzneimittel allein aufbauen, sagte Söder. Zuvor hatte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) eine engere Zusammenarbeit von Kinderärzten, Krankenkassen und Apotheken verlangt.