Bildergalerie: Traditions-Gasthof verschwindet: Abriss des "Bären" in Erkheim

20. Dezember 2022 10:21 Uhr
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Der Traditionsgasthof 'Bären' in Erkheim wurde abgerissen.
Der Traditionsgasthof "Bären" in Erkheim wurde abgerissen.
Karl Michl

Ein markantes Gebäude im Ortsbild von Erkheim ist jetzt verschwunden. Das knapp 150 Jahre lang als Gasthaus "Zum goldenen Bären" geführte gelbe Anwesen in der Arlesrieder Straße 7 wurde abgerissen. Es weicht laut Bürgermeister Christian Seeberger einem Wohnkomplex mit 15 Wohneinheiten und einer Tiefgarage, die die K&S Wohnbau GmbH aus Frickenhausen im kommenden Jahr errichtet.

Geschichte: Gasthof seit 1875

Im Zuge dieser Baumaßnahme wurde auch das angrenzende Gebäude in der Arlesrieder Straße 9 abgebrochen, in dem sich ab 1878 eine Postablage befand und 1894 zur Postagentur erhoben wurde. Als Erkheim 1893 an das Telefonnetz angeschlossen wurde, wurde in diesem Haus die Vermittlungsstelle eingerichtet. Im Jahr 1867 erbaute Ignaz Beck auf dem "Bären"-Gelände ein Haus mit Stall und Scheune. Innerhalb weniger Jahre wurde das Anwesen drei Mal verkauft. Peter Betz beantragte zu Beginn des Jahres 1875 die Erlaubnis zum Betrieb einer Schenk- und Gastwirtschaft mit Fremdenbeherbergung. Als Firmenname wurde "Goldener Bären" in das Gewerberegister eingetragen. 1878 übernahm Martin Müller bis 1900.

Nach dem 2. Weltkrieg: "Müller-Ära" zuende

Danach haben sein Sohn Ludwig (1900 bis 1934) und Enkel Karl (1934 bis 1945) die Gastwirtschaft geführt. Im April 1914 wurden der Saal und ein Gaststall gebaut. Die Memminger Brauerei Bürger- und Engelbräu erwarb 1934 die Wirtschaft und verpachtete sie fortan. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es noch acht Pächter, die die Wirtschaft in der herkömmlichen Form führten. Danach öffnete zunächst ein italienisches, später ein griechisches Speiselokal. Von Oktober 2018 bis Mitte Oktober dieses Jahres bot ein Pizzabäcker einen Abhol- und Lieferservice von Pizzas an.

Sommerkegelbahn: 5 Pfennig für "Kegelbuaba"

Schon um 1900 hatte man im Garten nördlich der Gastwirtschaft eine Sommerkegelbahn gebaut und drei Kastanienbäume gepflanzt. Erkheims früherer Bürgermeister Ignaz Heinle, der in der Nachbarschaft aufwuchs, war im Alter von etwa zehn Jahren mit Freunden am Sonntagnachmittag als "Kegelbua" tätig. Sie rollten die Kugeln zurück und stellten die Kegel wieder auf. Dafür habe er fünf oder zehn Pfennige Entlohnung erhalten. Interessant seien für die Jungen die Witze und Sprüche der meist älteren Herren gewesen, berichtet Heinle. Der Handwerkerstammtisch renovierte diese Bahn im Jahr 1989. Die 15 bis 20 Arbeitskräfte bauten in 906 ehrenamtlich geleisteten Arbeitsstunden einen neuen Fußboden und deckten das Dach neu ein. Die Brotzeit lieferten die Wirtsleute Adolf und Elsa Güthler, die Getränke die Brauerei. Etwa 15 Jahre lang war die Bahn dann noch in Betrieb.

Gesellschaftlicher Mittelpunkt des Dorfes

Der "Bären", wie die Wirtschaft genannt wurde, war für das kulturelle und gesellschaftliche Leben in Erkheim wichtig. Es wird nur wenige Erkheimer Bürgerinnen und Bürger geben, die nie im "Bären" zu Gast waren. Im Saal im ersten Stock fanden viele Hochzeitsfeiern statt, aber auch Leichenmahle nach Beerdigungen. Der "Bären" war das Vereinslokal des Sängerbundes (über 70 Jahre), des Allgäuer Bauernchor (ca. 20 Jahre), des Katholischen Burschen- und Gesellenverein (ca. 25 Jahre), des Turn- und Kraftsportverein (TKSV), des Schützenvereins Erkheim, des Imkervereins und etwa 20 Jahre lang das Einsatzlokal der Erkheimer Klausen. Mehrere Vereine hielten im "Bären" ihre Vereinsgründung ab, wie die Heimatpflege oder die Ortsgruppe des Bund Naturschutz, aber auch der Flottenverein im Jahr 1907. Drei Jahre später wurde dort die II. Wasserleitungsgenossenschaft für den unteren Ortsteil gegründet.

"Bären": Treffpunkt für Erkheimer Vereine und Gruppen

Im Dezember 1918 gab es einen bunten Festabend für die Kriegsteilnehmer und zurückgekehrten Gefangenen des Ersten Weltkriegs. Die Chronik des TKSV berichtet von Weihnachtsfeiern mit Turn- und Theatervorführungen in den 1920er Jahren. Theaterspieler vom TKSV führten regelmäßig Aufführungen durch. Diese Tradition wurde später vom Katholischen Burschen- und Gesellenverein, der Katholischen Landjugend-Bewegung und der Laienspielgruppe des Erkheimer Theater fortgesetzt, ehe sich 2018 der Vorhang endgültig schloss. Als in den 1920er Jahren etliche Erkheimer nach Nordamerika auswanderten, verabschiedete man diese mit mehreren Feiern. Etliche Vereine hielten im Saal ihre Faschingsbälle, die Raiffeisenbank, die Molkerei und politische Parteien und Gruppierungen führten ihre Versammlungen durch. Viel Betrieb herrschte immer am Montag, wenn sich zunächst der Handwerkerstammtisch traf, später die Montagsturner eintrafen und zuletzt nach ihren Sitzungen die Marktgemeinderäte einkehrten.

Abschied vom "Bären" mit einer letzten "Halben"

Ende Oktober fanden sich noch knapp 100 Erkheimer zu einer Abschiedshalben in der Gaststube ein. Sie konnten zum letzten Mal die Räume, den Saal und die Kegelbahn besichtigen. Wenn eine Gaststätte ihren Betrieb einstellt, bedeute dies für ein Dorf einen sehr großen Verlust, so Bürgermeister Seeberger. Mit dem Abbruch des "Bären" ende eine Ära in Erkheim.